Er schrieb das Vorwort zu dem Titel:
Georg
Müller
REINHOLD SCHNEIDER UND DIE POLITIK
Zwischen Macht und
Gewissen
Vorwort:
" Literarischen Sanitätsdienst " nannte
Reinhold Schneider die Werke, die er in den Jahren des Zweiten Weltkrieges
verfasste. Deutlicher kann ein Schriftsteller kaum sagen, dass er
eingreifen will in die Gesellschaft, der er auch selbst angehört. Und er
wählt keine Metapher der Revolution, der Auflösung, der Umwertung der
Werte, wie sie bei anderen auch zu seiner Zeit Programm waren; er will
heilen, ja ganz wörtlich, als Christ, Heil vermitteln. Symptomatisch dafür
ist ein Titelwechsel: Die Erzählung "Friedrich von Spee" , entstanden 1934
unter dem Eindruck erster Berichte vom KZ Dachau und 1936 in der von Kurt
Ihlenfeld herausgegebenen Sammlung " Die Stunde des Christentums" erstmals
veröffentlicht, erscheint 1943, mitten im Bombenkrieg, ein zweites Mal -
nunmehr im Colmarer Alsatia Verlag des Joseph Rosse, und unter dem neuen
Titel "Der Tröster". Wäre dies alles, so wäre es schon viel, was
Schneider leistete, mit den unzähligen Kleinschriften, Sonetten,
Meditationen dieses literarischen Sanitätsdienstes. Aber das
gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Engagement dieses Autors
zeigte auch andere Facetten. Stets politisch, und von Anfang an vor
europäischem Horizont , waren seine großangelegten iberischen Studien -
über Camoes und Philipp II. Anfang der dreißiger Jahre, das noch immer
unüberholte England - Buch "Das Inselreich, Gesetz und Größe der
britischen Macht" von 1936, der auslands - und englandfeindlichen Politik
des Nationalsozialismus entgegengestellt, und in ganz besonderem Maße
seine provozierend originelle Preußenstudie "Die Hohenzollern" , 1933
veröffentlicht und nach wenigen Monaten von der Nazi - Zensur
unterdrückt. Alles, was Schneider schrieb, was das Oeuvre eines "Zoon
politikon" , der zunehmend, und ab 1937 dezidiert, als Christ publizierte
und auch so verstanden sein wollte. Das bedeutendste Werk des
literarischen inneren Widerstandes gegen den Nationalsozialismus konnte so
entstehen: der " Las Casas " von 1938, aber dann auch Ende der vierziger,
Anfang der fünfziger Jahre die Vielfalt der Schriften mit denen Schneider,
ohne Pazifist zu sein, gegen die Wiederbewaffnung beider Teile
Deutschlands auftritt, in ostdeutschen Zeitschriften publiziert, weil er
auch dort (noch) ein Forum hatte, die Ächtung im Westen, den " Fall
Reinhold Schneider " , als Dank dafür erfährt und dann doch die beiden
höchsten Auszeichnungen erhält, die ein politischer Schriftsteller in
unserem Land erhalten kann: die Aufnahme in die Friedensklasse des "Pour
le Merite" 1952, und die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen
Buchhandels in der Frankfurter Paulskirche 1956, anderthalb Jahre vor
seinem Tod.
Georg Müller legt seit Bossles Dissertation von 1965
erstmals wieder eine umfassende Arbeit über den politischen Autor Reinhold
Schneider vor. Sie wird neben den aktuellen Studien Ekkehard Blattmanns
eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung mit der bleibenden und
kommenden Wirkung Reinhold Schneiders spielen, dies auch, weil sie nicht
in der rückblickenden Analyse verharrt. Mancher Faden, der hier
aufgegriffen ist, lohnt weiteres Verfolgen. Gerade durch den sparsamen
Umgang zeigt der Band, den Müller als einen eigenen ersten Schritt
vorlegt, auf übersichtliche Weise, wie die Arbeit nun weitergehen
kann.
Sommer 1994
Carsten-Peter Thiede
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